Bordeaux 2019 und 2020 En Primeur
Heute möchte ich mich etwas von unserem Kernthema High-End-Riesling aus Deutschland wegbewegen und in eine andere Weinbauregion schauen. Denn nur wer genau weiß, was in der großen weiten Weinwelt so alles vor sich geht, kann selber große Weine machen. Bordeaux ist dabei sicherlich – ich glaube, das kann man ohne rot zu werden so sagen – immer noch der Nabel dieses Kosmos. Ganze Karawanen von Journalisten und Händler pilgern jedes Jahr zu den En-Primeur-Verkostungen dorthin und für jede Weinzeitschrift, die etwas auf sich hält, ist ein Bericht darüber ein Muss. Informationen darüber gibt es also genug.
Leider sind sehr viele Berichte durch die Marktmacht von Bordeaux geprägt und über manche Bewertungen muss man sich wundern. Es ist daher wichtig, sich selbst ein Bild über die Lage zu verschaffen und prinzipiell kann sowieso kein noch so guter Bericht die eigenen Eindrücke ersetzen. Normalerweise ist die großer Bordeaux-En-Primeur-Verkostung während der ProWein in Düsseldorf immer eine sehr gute Gelegenheit dazu. In den letzten beiden Jahren konnte diese weltweit führende Weinmesse coronabedingt aber leider nicht stattfinden. Dankenswerterweise sind einige der großen Négociants eingesprungen und haben die Jahrgänge 2019 und 2020 als Roadshow vorgestellt. Für die Möglichkeit, diese beiden Jahrgänge en-primeur zu verkosten, möchten wir uns bei Ralf Weilbächer und dem Team von Crus et Domains de France ganz herzlich bedanken.
Die Ausgangssituation ist nun, dass das Jahrgangstrio 2018, 2019 und 2020 in den höchsten Tönen gelobt wird. Beim Jahrgang 2019 ist dies sicherlich mehr als gerechtfertigt. Es ist schlichtweg der beste Jahrgang, den ich überhaupt en-primeur verkosten konnte. Glücklicherweise konnte ich seit dem Jahrgang 2000 alle verkosten. In diesem Zeitraum sind dann auch die wirklich sehr guten Jahrgänge 2005, 2009, 2010, 2015 und 2016 enthalten. Aber 2019 steht da aufgrund seiner atemberaubenden Tanninqualität (meilenweit) oben drüber. Es ist eine Wiedergeburt des „kalifornischen“ Jahrgangs 1989 mit wesentlich besserer Kellertechnik und mehr Know-how. Ich durfte bei einem guten Freund erst kürzlich wieder einmal La Mission Haut-Brion 1989 verkosten und der hat mich dann schon gewaltig weggeblasen. Nicht umsonst muss man dafür heutzutage fast 2.000,- € für die Normalflasche auf den Tisch blättern.
Fairerweise sollte ich erwähnen, dass ich von jedem der oben genannten großen Bordeaux-Jahrgängen – mit Ausnahme des Jahrgangs 2019 – in der En-Primeur-Verkostung irgendwie enttäuscht war. Speziell, wenn man das Preisniveau, welches diese Weine inzwischen erreicht haben und den medialen Hype, der um diese Jahrgänge gemacht wird, zugrunde legt. Ich gebe gerne zu, dass ich nicht viele Premier Crus probieren konnte. Denn dazu muss man wirklich nach Bordeaux reisen oder sehr viel Geld ausgeben und dass man sich aufgrund der Elogen in der Presse immer Wunderdinge erwartet, die in der Realität selten eingelöst werden können. Aber eine gewisse Enttäuschung – auch wenn diese Jahrgänge absolut gesehen natürlich ausgezeichnet sind – war immer da.
Positiver war ich dann schon bei den kleineren Jahrgängen, wie z. B. 2004 und 2006, gestimmt, die viel klassischer ausgefallen sind. Das sind dann zwar gewaltige Tannin- und Säureattacken, nach 40 Weinen beginnt einem der Gaumen auseinander zu fallen. Und die verklärte Ansicht, wie höchst vergnüglich es doch wäre, immer nur Wein zu verkosten, löst sich mit schmerzenden Zahnhälsen, aufquellenden Schleimhäuten und einem massiven Tanninwolf in Aspirin und Omeprazol auf. Aber hier stimmt dann wenigstens weitgehend der Preis. Vielleicht ist aber alles auch wirklich nur eine Frage der Erwartungshaltung.
Wie auch immer. Beim Jahrgang 2019 hatte ich schon nach den ersten beiden Weine mein Aha-Erlebnis – zusammengefasst in dem einen Wort „Wow!“ Und die Begeisterung ist während der gesamten Degustation nicht geringer geworden. Es war sogar die erste Bordeaux-En-Primeur-Degustation, die ich vollständig überzeugt verlassen habe. Exemplarisch für den Jahrgang und auch sogar noch „preiswert“ ist Château Grand-Puy-Ducasse. Ein Wein, den ich wärmstens empfehlen kann.
Insofern war die Erwartungshaltung beim Jahrgang 2020 wieder einmal sehr hoch. Und wie schon beim Jahrgang 2019 haben bereits die ersten beiden Weine gezeigt, wo die Reise hingeht, nämlich in die Überreife. Nicht dass ich Überreife ablehne – ich habe diese Weine zu Beginn meiner vinophilen Karriere sogar geradezu geliebt – aber je mehr man diese Weine probiert, desto ähnlicher werden sie sich. Und wenn man dann weiß, wie sie gemacht werden und wie einfach das im Prinzip ist, verliert man den Respekt. Aber sei’s drum. Bevor ich einen Säuerling trinke, greife ich selbstverständlich zur Überreife.
2020 ist in Bordeaux in dieser Hinsicht heterogen. Es gibt schon Weine, die à-point geerntet wurden und die dann in der Tanninqualität und auch generell an 2019 herankommen und auch vereinzelt Weine mit grün-unreifen Noten. Aber en gros dominiert Wärme, Hitze und Überreife. In dieser Hinsicht ist 2020 dem Jahrgang 2003 sehr ähnlich, wenngleich in 2003 die Überreife teilweise noch heftiger war. Allerdings waren die 2003er in solch enormes Volumen gepackt, dass diese schiere Macht die Überreife überdeckt hat und die Bewertungen – wohl zu recht – sehr hoch waren. Jetzt, wo der Babyspeck allerdings weg ist, tritt die Überreife immer mehr zu Tage. Die Weine aus 2003 sind zwar jetzt nicht kaputt, aber die Faszination, die sie ohne Frage hatten, ist weg und wird auch nicht mehr wiederkommen. Wahrscheinlich hätte man diese Weine in ihren ersten zehn bis 15 Jahren trinken sollen. Zugänglich genug waren sie auf jeden Fall.
In der 2020-Verkostung ging es nun primär darum, die Stufen der Überreife zu bestimmen, die ich hier einmal mit keine Überreife, warm, Trockenfrüchte und Marmelade beschreiben möchte. Wer die Weine zum richtigen Zeitpunkt geerntet hat, kommt – wie erwähnt – sicherlich an 2019 heran. Wer ein wenig zu spät war, ist immer noch sehr gut und bei viel zu spät wird es eben marmeladig.
Trotz aller kritischen Anmerkungen schätzte ich 2020 als einen guten bis sehr guten Jahrgang ein, der auf jeden Fall seine Liebhaber finden wird. Aufgrund seiner warmen Ausprägung wird er sich sehr gut verkaufen lassen. Viele Kunden werden sehr zufrieden sein. Es kommt eben immer darauf an, was man erwartet und den Leuten das zu geben, was sie auch haben wollen. Dies ist rein kaufmännisch gesehen schon immer eine gute Entscheidung.
Abschließend will ich doch zumindest noch einen 2020er empfehlen. Ich habe mich für Château Poujeaux entschieden. Einer der besten Poujeaux, die ich bisher verkostet habe. Er ist zwar keine Weltmacht, ist aber à-point geerntet. Fällt auch sonst sehr positiv auf und ist preislich noch fair geblieben.